Smart-City-Vorbild Winterthur

von Charles Staubach

Einst eine Industriestadt, zählt Winterthur seit vielen Jahren zu den innovationsstärksten Wirtschaftsräumen der Schweiz und zudem zu den Vorreitern im Bereich der Umsetzung von Nachhaltigkeitsprojekten und gilt als Smart City. Die Stadt Winterthur hat zusammen mit neun weiteren Städten die Idee der 2 000-Watt-Gesellschaft forciert. Mit dem Volksentscheid zur Initiative
«Winergie 2050 – Winterthurs Energiezukunft ist erneuerbar» hatte sich die Winterthurer Bevölkerung für die dafür notwendigen Umsetzungen ausgesprochen.

Die Stadt Winterthur arbeitet schon seit vielen Jahren konsequent im Bereich der Smartifizierung und Nachhaltigkeit im städtischen Betrieb. Relevante und nachhaltige Umsetzungen gab es zum Beispiel schon frühzeitig auch im Bereich der Kommunalfahrzeuge: Die Fahrzeugflotte des Stadtwerks Winterthur besteht aktuell aus mehreren Dutzend Gasfahrzeugen und Elektroautos. Wo immer möglich, werden Fahrzeuge durch solche mit elektrischem Antrieb ersetzt. Das bedeutet: Künftig wird der Anteil an Elektroautos laufend zunehmen. Beim Sammeldienst sind viele Fahrzeuge im Einsatz,
davon auch welche mit Hybrid- und mit Gasantrieb.

Smarte Projekte für die Smart City
Winterthur präsentierte beispielsweise im 2019 vier Smart-City-Projekte für das Jahr 2020. Bei diesen Pilotprojekten geht es unter anderem um Massnahmen gegen Hitzeinseln im neuen Stadtteil Lokstadt und die Förderung des Fuss- und Veloverkehrs. Für das Pilotgebiet im neuen Stadtteil Lokstadt auf dem Sulzerareal werden Klimasimulationen durchgeführt. Dabei werden städtebauliche Erkenntnisse gegen Hitzeentwicklung in Städten ortsspezifisch
überprüft. Mit besser geeigneten Bodenbelägen, der Begrünung von Fassaden oder ausgleichenden Luftströmen sollen Hitzeinseln abgekühlt werden. Die Ergebnisse der Simulationen fliessen dann in die noch offenen Entwicklungsetappen der Lokstadt ein. Zudem stehen sie danach auch für künftige Baugebiete zur Verfügung. Mit dem Projekt «Förderung von Fuss- und Veloverkehr mittels Big Data» will die Stadt den emissionsfreien
Verkehr fördern. Mittels einer App von Pro Velo Schweiz wird visualisiert, wie intensiv Wege genutzt werden und wo Optimierungsbedarf herrscht. Ausserdem sucht die Stadt Winterthur gemeinsam mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) nach den nachhaltigsten Batterielösungen für ihre elektrischen Fahrzeuge zur
Kehrichtentsorgung. Und schliesslich setzt das Naturmuseum die Digitalisierung seines Naturfundbüros um. So können die kostbaren Fundstücke von Interessierten auch online und interaktiv begutachtet werden.

Das grösste Projekt ist ohne Zweifel «Winergie 2050 – Winterthurs Energiezukunft ist erneuerbar»: Zur Erreichung des Ziels Netto-Null Tonnen CO2 bis 2050 hat der Stadtrat ein Paket mit 54 Klimaschutzmassnahmen geschnürt. Die dazugehörige Umsetzungsplanung konkretisiert den Weg bis 2028 und bereitet den Pfad für die Zeit danach vor. Das Zwischenziel heisst eine Tonne CO2 pro Person und Jahr bis 2035. Bis 2050 will Winterthur klimaneutral sein und soll unterm Strich keine Treibhausgase mehr ausstossen. Für die Stadtverwaltung selbst setzt der Stadtrat das Netto-Null-Ziel bis 2035. Basis sind die Klimaschutzziele von Paris. Dabei stützt man sich auf die jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass bereits ab einer durchschnittlichen Klimaerwärmung von 1.5 Grad mit gravierenden Folgen für Mensch und Artenvielfalt zu rechnen ist. Die neue Zielsetzung des Stadtrats steht im Einklang mit der Motion «Netto-Null Tonnen CO2 bis 2050».

Konkret heisst dies folgendes: Bis 2050 sollen gemäss dem Netto-Null-Ziel nicht mehr Treibhausgase ausgestossen werden, als natürliche und technische Speicher aufnehmen können. Zur Erarbeitung der dafür notwendigen Klimaschutzmassnahmen hat der Bereich Umwelt- und Gesundheitsschutz verschiedene Interessensgruppen aus der Winterthurer Bevölkerung und Wirtschaft eingeladen. Teilgenommen haben zum Beispiel Vertreterinnen und Vertreter des KMU-Verbandes, der Klimastreikbewegung oder der Bau- und Wohngenossenschaften. Zusammen mit Fachpersonen aus allen Departementen wurden die rund 450 gesammelten Vorschläge zusammengefasst und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit auf eine Anzahl von 54 Massnahmen verdichtet und priorisiert. Sie wurden innerhalb der vier
Themenbereiche mit den grössten Hebelwirkungen, nämlich der Energieversorgung, den Gebäuden, der Mobilität und dem Konsum, gebündelt. Einige Umsetzungen sollen, so der Plan, etwas schneller über die Bühne gehen: So sollen die installierte Stromleistung aus hiesigen Fotovoltaikanlagen bis 2028 gegenüber heute um rund 50 Prozent gesteigert und die Treibhausgasemissionen aus der Wärmeversorgung bis 2035 um rund 80 Prozent
reduziert werden. Die Anzahl und Leistung fossiler Feuerungen sollen bis 2028 um einen Drittel verringert werden, und der Wärmeabsatz aus Wärmeverbünden soll pro Jahr eine jährliche Zunahme von 11 Gigawattstunden aufweisen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Förderung nachhaltiger Mobilität: Die Entwicklungsperspektive Winterthur 2040 sieht Winterthur als «Fünf-Minuten-Stadt». Dazu gehören ein lückenloses Velonetz,  hindernisfreie und sichere Fusswege, ein gutes ÖV-Angebot sowie die Förderung
der Elektromobilität.

Einen weiteren Schwerpunkt stellt der Ausbau von Fotovoltaik in Winterthur dar. Der Stadtrat hat sich das Ziel gesetzt, bis ins Jahr 2025 hundert zusätzliche PV-Anlagen auf städtischen Dächern zu installieren. Um den generellen Zubau von Anlagen zu fördern, sollen die entsprechenden finanziellen Anreize geschaffen werden. Das Förderprogramm Energie Winterthur wird so ausgebaut, dass statt der Eigenverbrauchsoptimierung künftig auch Investitionen in PV-Anlagen für ganze Dachflächen interessant werden. Dabei gilt: Die Stadt kann Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für eine umweltfreundliche Energieversorgung schaffen. Es braucht aber auch die Bevölkerung, die mitmacht, PV- Anlagen installiert und Solarstrom bestellt.

Beim städtischen Gebäudebestand sollen ergänzend zu energetischen Sanierungen, Heizungsersatz und einem deutlichen Ausbau der Fotovoltaikanlagen auch Aspekte des zirkulären Bauens und ökologische Baustoffe berücksichtigt und dadurch der Energie- und Ressourcenverbrauch reduziert werden. Für die städtische Fahrzeugflotte ist eine weitgehende Umstellung auf erneuerbare Antriebe bis 2028 geplant. Durch die Umsetzung konsequenter Nachhaltigkeitsregeln reduziert die Stadt Winterthur zudem die Umwelt- und Klimaauswirkungen der städtischen Beschaffungen.

Der Wandel zu einem Technologiestandort
Der Wandel Winterthurs ist eine Erfolgsgeschichte. Winterthur – einst eine Zürcher Untertanenstadt – galt lange als typische Industriestadt. Man sprach hierbei oft von «Sulzer Town», weil der Konzern die Region Winterthur prägte. Heute denkt man im  Zusammenhang mit Winterthur an den Technopark oder an die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Stadt und Region stehen für Innovation und
Smartifikation. Das war nicht immer so. Im Mittelalter (1467) wurde Winterthur sogar an Zürich verpfändet und blieb in der Folge während Jahrhunderten Untertanenstadt der Zürcher. Diese behinderten die wirtschaftliche Entwicklung Winterthurs und wachten darüber, dass ihnen durch die Nachbarstadt keine Konkurrenz erwuchs.

Aber auch in der jüngeren Vergangenheit hatte Winterthur mit verschiedenen Problemen zu kämpfen: In den 1980er-Jahren erlebte die Stadt nämlich einen markanten Einbruch der Maschinenindustrie. Tausende von Arbeitsplätzen verschwanden, und die Produktionsstätten von Sulzer an der Zürcherstrasse und in Oberwinterthur wurden
zu Geisterstädten.

Mit einer neuen diversifizierteren Wirtschaftsstruktur wurde danach der Wandel vom Industrie- zum Technologiestandort mit hoher Wertschöpfung eingeleitet. Schwung in die Stadt brachte auch der Zuzug der angesehenen Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) mit unterdessen rund 7 000 Studierenden. Und es werden immer mehr. Winterthur boomt auch als Wohnstadt und kümmert sich seit vielen Jahren um Nachhaltigkeitsthemen und muss über die Grenzen des Wachstums nachdenken. Um diese neue hohe Lebensqualität zu sichern, sind Themen wie Digitalisierung, Urbanisierung, Klimawandel und der Umbau der Infrastruktursysteme im Energie- und Mobilitätsbereich vorrangig geworden. Diese Herausforderungen sind nur mit «smarten Lösungswegen
» und somit mit einem Weg zur Smart City umsetzbar. Die Smart City Winterthur soll diese im Sinne eines ganzheitlichen Entwicklungsansatzes ressortübergreifend, vernetzt mit Partnern und mit Unterstützung von digitalen Technologien angehen. Das Smart-City-Konzept geht weit über verwaltungsinterne E-Government- und Digitalstrategien hinaus. Die übergeordneten Ziele einer Smart City sind eine effiziente und ressourcenschonende Stadtentwicklung sowie die Erhöhung der Lebensqualität und Standortattraktivität. Dafür sollen die Chancen der Digitalisierung und aufstrebender Technologien genutzt und neue Ansätze zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen eingesetzt werden.
Insgesamt soll ein innovatives urbanes Umfeld entstehen, das die Bevölkerung und die Wirtschaft einbezieht und neue Gestaltungsmöglichkeiten zulässt. Auch Mike Vogt, der wohl bekannteste Schweizer Experte im Bereich Smartifikation der urbanen Gegenden (Gründer der Fachmesse SmartSuisse), betont regelmässig: «Städte wie St. Gallen und in den letzten Jahren besonders auch Winterthur sind bezüglich der sogenannten Smartifizierung führend.»

Branchenstruktur: Viel Hightech und industrielle Tradition
Die industrielle Tradition spiegelt sich heute noch in der starken Vertretung der Hightech-Industrie und des Engineerings (Maschinenbau und Baugewerbe) wider. Der Anteil an wissens- und technologieintensiven Branchen ist hoch. Im Dienstleistungsbereich sind Versicherungen sowie das Gesundheits- und Bildungswesen überproportional vertreten,
die Branchen verfügen über ein grosses Wachstumspotenzial.

Eine besondere Rolle spielen dabei der Technopark und die ZHAW. Der Technopark Winterthur bietet das optimale Umfeld für innovative Menschen. Start-ups und Spin-offs arbeiten mit ZHAW-Forschungsinstituten sowie mit etablierten Unternehmen, die Transfer-Dienstleistungen anbieten, zusammen unter einem Dach. Sie tauschen Ideen und Erfahrungen aus, nutzen den direkten Draht untereinander und zu wichtigen Akteuren im Innovationssystem. Die physische Nähe fördert hierbei Synergien in der Region. Die Unternehmen können zudem Förderpakete beantragen. Der grösste und bekannteste Anlass im Technopark ist die Start-up Night – organisiert vom Entrepreneur Club Winterthur. Der Technopark Winterthur liegt mitten im neu aufstrebenden Lokstadt-Areal in Zentrumsnähe. 10’000 Quadratmeter Mietfläche stehen zur Verfügung. Auch die ZHAW betreibt hier ihren Campus mit der Hauptbibliothek.

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