Ich setze mich ein für einen attraktiven Wirtschaftsstandort und ein lebendiges Zürich

Frau Fiala, neben Ihrer PR-Agentur bekleiden Sie nebenher noch verschiedenste hochrangige politische Ämter. Wann und warum haben Sie sich für eine zweite, i.e. politische Karriere entschieden?

Es mag überraschen, aber ich habe keine politische Laufbahn angestrebt. Nach vielen Auslandjahren und neun Jahren in Genf haben mein Mann und ich bei unserer Rückkehr eine Stadt Zürich angetroffen, die dramatisch mit Drogenproblemen zu kämpfen hatte. Ich war schockiert und deprimiert. Mein Gatte meinte damals, ich könne ja einen Beitrag leisten und einer Partei beitreten. So hat vor über 20 Jahren mein Engagement in der Politik seinen Anfang gefunden. Politisch ehrgeizig wurde ich erst viele Jahre später.
Wie teilen Sie sich Ihre Arbeitswoche ein, sind Sie mehr mit politischen oder unternehmerischen Aufgaben beschäftigt?

Viermal im Jahr bin ich drei Wochen in der Session in Bern. Viermal eine Woche in der Session in Strassburg im Europarat. Hinzu kommen die Sitzungen verschiedener Spezialkommissionen im In- und Ausland. Meine PR-Beratungen kann ich grundsätzlich von überall auf der Welt tätigen. Meine Kunden realisieren meist nicht einmal, ob ich in der Schweiz oder irgendwo auf der Welt arbeite: WLAN und iPhone lassen grüssen… Sitzungen für die Verbände Swiss Plastics und die Aids-Hilfe Schweiz plane ich lange im Voraus. Krisenmanagement allerdings ist unplanbar und erfordert grosse Flexibilität. Die grösste Flexibilität beweist jedoch mein Mann mit mir… Aber er weiss, dass ich meine Aufgaben und die Arbeit liebe. Sie belastet mich nicht. Das politische Spannungsfeld kann belastend sein, negative Medienberichterstattung und die elektronischen Beschleunigungsfallen, aber nicht die Anzahl Arbeitsstunden.
Der Wirtschaftsstandort Zürich ist nach wie vor stabil, muss sich aber auch neuen Herausforderungen stellen. Wie schätzen Sie die Lage ein, und welche Aufgaben empfinden Sie als besonders dringlich?

Die Rahmenbedingungen dürfen sich für unsere Wirtschaft keinesfalls weiter verschlechtern: Der Fachkräftemangel ist in einigen Branchen gravierend, es muss daher gelingen, die Frauen im Arbeitsprozess zu stärken und das Know-how der vitalen 55+ zu behalten und zu schätzen.  Wir haben allerdings die höchsten Löhne, einen hohen Schweizerfranken und drohende Energieverteuerung. Diese Mischung ist nicht banal und wir stehen im weltweiten Wettbewerb. Wohlstand ist nicht gottgegeben! Unternehmerische Freiräume sollten wir deshalb fördern. Stolz bin ich auf die Schweizer Innovationsfähigkeit. Es ist jedoch eine Sache, Patente anzumelden, eine andere, diese wirtschaftlich umzusetzen. Guter Zugang zu Venture Capital ist dazu nur ein Stichwort.
Die Kluft zwischen wirtschaftlichen und politischen Interessen wird immer grösser. Welche Gefahren lauern hier, vielleicht gerade auch im Hinblick auf die kürzlich beschlossene Einwanderungsbegrenzung?
Die direkte Demokratie ist sehr anspruchsvoll geworden. Viele Menschen fühlen sich ob dem Tempo und der Komplexität überfordert und glauben, das «Kleinräumige, Urschweizerische» könne Abhilfe schaffen, was leider ein Trugschluss ist denn: Alle Gefahren für die Schweiz sind heute global! Pandemien, Cyber Crime, Datenklau, Flüchtlingswesen, Menschenhandel, organisiertes Verbrechen…. Nur gemeinsam können, wenn überhaupt, Lösungen gefunden werden. Es braucht daher viel mehr Dialog mit unseren Mitmenschen und Stimmbürgern. Wir Politiker müssen Ängste nehmen, nicht Panik schüren!

In Ihren Nebentätigkeiten als Wahlbeobachterin und Europaratsabgeordnete sind Sie sicherlich viel «on the road». Was bedeutet Reisen für Sie – mehr Pflicht oder Vergnügen?

Kirgistan, Moldavien, Serbien, Montenegro, Georgien, Ukraine, Türkei, Bulgarien… Wahlbeobachtung in diesen Ländern sind teilweise beunruhigend, deprimierend und lassen mich oft mit mehr Fragen als Antworten zurückkommen. Diese Tätigkeit ist zwar kein Vergnügen, aber freiwillig und etwas vom Spannendsten, das ich in meinem politischen Leben erfahren durfte. Das erworbene Wissen versuche ich in meine aussenpolitische Arbeit in der Schweiz einfliessen zu lassen. Ich frage mich immer: Was bedeutet das für unser Land? Das Wichtigste ist vielleicht dies: Ich habe eine hohe Frustrationstoleranz und Dankbarkeit entwickelt.

Haben Sie ein Lieblingsmandat?

Ja, den Kunststoffverband Swiss Plastics. Er vertritt die Kunststoff-Industrie, mit 15 Mrd. Franken und 36‘000 Arbeitnehmern einer der grössten Verbände in der Schweiz. In ganz Europa bin ich meines Wissens die einzige Frau, die einen solchen Industrieverband leitet. Dieses Mandat zählt ganz eindeutig zu meinen Lieblingsaufgaben.
Sie sind nicht nur als Unternehmerin und Aussenpolitikerin sehr engagiert, sondern kümmern sich auch mit viel Passion um die Belange der Aidshilfe. Was bedeutet Ihnen diese Tätigkeit?

Scheinbar fast unlösbare Probleme haben mich immer gereizt: Man hat mich als Krisenmanagerin und Saniererin zur AHS geholt. Meine Mission ist geglückt, auch dank einem super Team. Ich übergebe das schwierigste all meiner Ämter, welches ich je ausgeübt habe, an Regierungsrat Klöti aus St. Gallen, am 9. Dezember. Mit tiefer Befriedigung und ein paar groben Blessuren.
Gibt es Kollegen oder Vorbilder, die besonders prägend für Ihren persönlichen und beruflichen Werdegang waren bzw. sind?

All jene, die nicht aufgeben. All jene, die einen altruistischen Geist leben. All jene, die Arbeit nicht nur als Broterwerb sehen. Mein aktuellstes Vorbild ist unser Bundespräsident: Didier Burkhalter hat sich aus meiner Sicht zum ganz grossen Staatsmann entwickelt: Durch und durch integer, ohne Narzissmus, den Menschen nahe. Er ist der Beweis für mich, dass man an schwierigen Aufgaben überdurchschnittlich wachsen kann.
Wie ist es für Sie als Frau in der nach wie vor männerdominierten Schweizer Politik? Gibt es da manchmal noch Probleme?
Ich war als Frau nie benachteiligt. Wenn ich, und das kam vor, einen Job oder ein Amt nicht erhalten habe, so nie, weil ich eine Frau war, vielleicht einfach mal, weil eine andere Persönlichkeit besser oder erfahrener war,  ja geeigneter.

Hatten Sie als Kind einen Traumberuf?

Wir nehmen an, dass Sie früher niemals damit gerechnet hätten, einmal Nationalrätin zu werden…

Meine verstorbenen Eltern erzählten mir oft, dass ich mit fünf bereits Schlagersängerin werden wollte, später wollte ich ein Luxushotel leiten, das war aber in der Tat damals eine reine Männerdomäne…
Was ist für Sie Luxus?

Tätigkeiten nachzugehen, die nicht dem Broterwerb dienen müssen und Menschen zu begegnen, die leidenschaftliches Funkeln in den Augen haben, wenn sie sich mit mir über ihre Pläne und Ideen unterhalten und mir ihre Zeit und den geistigen Austausch schenken.
Wie können Sie sich nach einer anstrengenden Arbeitswoche am besten entspannen?

Mit meiner Familie und engen Freunden an einem grossen Tisch, einem guten Essen und frohen vertrauten Gesprächen bis spät in die Nacht hinein. Oder auf dem Laufband im Fitnesscenter.
Was würden Sie jungen Leuten mitgeben, die eine Karriere in der Schweizer Politik anstreben?

Wer sich in der Politik über seine potentielle Karriere definiert, wird wohl meist keine Erfüllung finden. Wer hingegen politisiert aus Leidenschaft und Interesse daran, einen Beitrag zu leisten, der wird es weit bringen können und viel Erfüllung erfahren. Was es braucht, ist die Ausdauer eines Marathonläufers. Sprinter sollten nicht in die Politik gehen. Und das Allerwichtigste: Es braucht Respekt anders Denkenden gegenüber. Das ist gelebte Demokratie auf Augenhöhe.