Es gibt kein standardisiertes Rezept

INTERVIEW MIT BORIS RAUSCHER VON JOËL CH. WUETHRICH

Wie können Unternehmen bei heiklen internen Vorfällen einen Shitstorm verhindern? Diese Frage umtreibt viele Unternehmen mehr denn je in Zeiten, in welchen eine transparente Innen- und Aussenkommunikation gefordert
wird, aber dennoch einige Tücken beinhaltet. Wir haben Boris Rauscher, den Präsidenten des Schweizerischen Verbandes für Krisenkommunikation, hierzu befragt.

Als der Shitstorm über das Unternehmen herein brach, war alles schon zu spät: Der Imageschaden ist kaum mehr zu beheben und es wurde ein Keil zwischen langjährigen unternehmerischen Partnerschaften getrieben. Die wirtschaftlichen Folgen werden wohl noch spürbar bleiben. Immer wieder erleben Unternehmen eine solche Situation, der sie kaum mehr Herr werden können. Was tun, um dies zu verhindern?

Wie verhalte ich mich bezüglich Kommunikation und Eigendarstellung bei einem Problem in Zeiten der Empörungsgesellschaft und der Medientransparenz? Wie kann man einen Shitstorm verhindern? Dieses Thema ist ein fortlaufendes, ist jedoch in den letzten Wochen und Monaten aufgrund einiger Fälle, die hohe Wellen schlugen, besonders in den Fokus geraten. Die Empörung über den Umgang der Unternehmen mit der Situation schlägt dann und wann um in einen offenen Shitstorm und hat zuweilen sogar öffentliche Proteste zur Folge. Die Vorwürfe sind bekannt: Man reagiere zu zögerlich auf die Hinweise und sei nicht genügend proaktiv mit Sanktionen gegen mutmasslich Beschuldigte.

Kontroverse um die Problembehandlung bei schweren internen Vorfällen
Nun stellt sich für viele die Frage: Wie reagiert man also korrekt und effizient zugleich? Gibt es eine Grauzone? Wie soll man einen Vorfall kommentieren und behandeln, wenn (noch) eine Unschuldsvermutung vorliegen könnte? Wo ist die rote Linie? Viele Fälle sorgen so schnell für viel Diskussionsstoff, Polemik und kontroverse Meinungen. Wir haben Boris
Rauscher, den Präsidenten des Schweizerischen Verbandes für Krisenkommunikation,
hierzu befragt. Er betont hierbei, dass er im Namen des VKK (Schweizer Verband für Krisenkommunikation) gerne die Fragen beantworte, jedoch festhalten möchte, dass er sich lediglich allgemein, losgelöst spezifischer Fälle, zum Thema Shitstorm äussern werde. Schliesslich fehle die weitgehend vertrauliche Detailkenntnis zu einzelnen Fällen für
ein spezifisches Urteil.

«Geschäftsführer»: Boris Rauscher, wie kann man als Unternehmen einen Shitstorm, eine sich noch mehr aufbauende dynamische Entwicklung und den Imageverlust verhindern, wenn noch gar nicht zu 100 Prozent geklärt ist, wie der Tatbestand tatsächlich ist?
Boris Rauscher: Kommunikationskrisen können nicht standardisiert abgearbeitet, jedoch sorgfältig und mittels verschiedenen Szenarien vorbereitet werden. Ein Shitstorm beispielsweise gilt meist als eruptive, also überraschende Krise und kann durch einzelne Ereignisse hervorgerufen werden. In der Tendenz werden Krisen immer kurzlebiger, der eigentliche Hype dauert oft nur wenige Tage, kann aufgrund der Intensität jedoch
einen massiven, auch langfristigen Reputationsschaden verursachen. Ein Shitstorm in den sozialen Medien, beziehungsweise die mit ihm verbundene dynamische Entwicklung, lässt sich nicht in jedem Fall steuern oder verhindern. Wichtigste Präventionsmassnahmen sind ein offenes, faires, diskriminierungsfreies und auf Gleichberechtigung basierendes Klima in
einem Unternehmen, das zudem über klare Bestimmungen zum Vorgehen beispielsweise bei Belästigungsvorwürfen verfügt und diese zeitnah, vorurteilsfrei und unvoreingenommen klärt. Falls dennoch aufgrund von berechtigten oder unzutreffenden Vorwürfen ein Shitstorm entsteht, kann der Imageverlust mit guter Vorbereitung und adäquaten Reaktionen minimiert werden.

Wie ist konkret das Vorgehen, wenn die Befürchtung eintritt, man
könne einer solchen Situation ausgesetzt werden oder der Shitstorm
schon volle Fahr aufgenommen hat?
Ich zähle hierbei oft die sechs Phasen auf: Phase Eins ist das Wahrnehmen und das Bewusstsein, gefolgt von der Identifizierung des Problems und dem Priorisieren, danach heisst es Beschreiben und Vorbereiten, Erkennen und Einordnen, Führen und Abstimmen und schliesslich Evaluieren und Lernen. Der erwähnte Fall «Unternehmen Mitte» befindet sich bereits in Phase 5. Allfällige Fehler, die in früheren Phasen erfolgten, lassen sich nicht mehr aus dem Weg räumen. Hier ist es essentiell, dass folgende Fragen beantwortet werden: Was wissen wir? Welche Ursachen haben zur Krise geführt? Was hat die Krise ausgelöst? Sind uns Fehler unterlaufen, die wir jetzt rasch korrigieren müssen? Wie führen wir durch die Krise? Wie richten wir den Fokus aus? Die Verantwortlichen sind nun aktiviert,
die aktuelle Faktenlage ist geklärt und wird laufend überprüft. Die Krise wird danach gemäss Krisen-Manual bewältigt mit dem Ziel, dass die Reputation und das Vertrauen der Organisation geschützt werden und maximale Schadensminimierung eintritt.

Wie wichtig ist eine proaktive und schnelle Reaktion? Manche Unternehmen
sitzen Probleme ja auch gerne aus …
Es ist wichtig in einer Krise schnell zu reagieren, auf Augenhöhe zu kommunizieren,
Fehler einzugestehen und diese zu kommunizieren. Zudem Boris Rauscher, Präsident des Schweizerischen Verbandes für Krisenkommunikation «Allfällige Fehler, die in früheren Phasen erfolgten, lassen sich kaum mehr aus dem Weg räumen.» sich mit kritischen und fundierten Kommentaren auseinander zu setzen und keine Zensur zu betreiben. Ist es, wie im beschriebenen konkreten Fall so, dass der Sachverhalt nicht eindeutig geklärt ist, gilt es auch hier, dies so zu kommunizieren. Das heisst auch, keine einseitigen, voreingenommenen oder voreiligen Botschaften auszusenden sowie Handlungsbedarf
zu identifizieren und die entsprechenden Aufträge zu erteilen.

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