Das Büro ist tot – lang Lebe das Büro

von Sven Bietau

Jeder Raum bietet mehrere Arbeitsplatzszenarien.

New Work und agile Arbeitsmethoden sind in aller Munde. Doch was verbirgt sich tatsächlich hinter den neuartigen Begrifflichkeiten. Die Thematik rund um Bürowelten betrifft beinahe jeden. Welche Bedürfnisse stehen hinter diesen Veränderungen und wie kam es überhaupt dazu?

Grundsätzlich lässt sich beobachten, dass Arbeitsräume in der DACH Region meist noch sehr traditionell gehalten sind. Der Grossteil der erwerbstätigen Bevölkerung in Büros arbeitet in Einzel- und kleinen Mehr-Personen-Räumen mit verzimmerten Strukturen, ausgelegt auf eine lineare und hierarchische Arbeitsweise. Jedoch wandelt sich mit der zunehmenden Komplexität der gesellschaftlichen Strukturen auch die Anforderung an das physische Büro. Es hat eine ganz neue Rolle zu erfüllen. Betrachten wir die gesamtgesellschaftliche Veränderung in den letzten Jahrzehnten, wird schnell klar, dass sich die grundlegende Zielsetzung unserer Arbeit massgeblich verändert hat und sich noch immer wandelt.

UNTERSCHIEDLICHE RAUMKONZEPTE
Arbeitsort war bisher immer gleichzeitig Notwendigkeitsraum. So war das im deutschsprachigen Raum sehr verbreitete Zellenbüro für das konzentrierte Abarbeiten von Sachaufgaben konzipiert. Diese Typologie hat jahrzehntelang basierend auf den damaligen Anforderungen funktioniert. Bei dieser singulären Ausrichtung standen Kreativität und Kommunikation noch nicht im Fokus. Nun folgt aber eine Wende. Arbeitsprozesse und -bereiche in den unterschiedlichen Branchen haben sich teils grundlegend verändert: Digitalisierung beschleunigt die weltweite Vernetzung und Globalisierung. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, geht es in der heutigen Wissensgesellschaft zunehmend darum, möglichst schnell Innovationen zu schaffen. Hier liegt die grosse Herausforderung: Die Arbeitsumgebungen müssen in ihrer Planung radikal neu gedacht werden. Wir benötigen neue Bürokonzepte, die auch die zeitgenössische Zielsetzung, Innovation und ihre begünstigenden Faktoren, ermöglichen und fördern.

ERFOLGSFAKTOR INNOVATION
Unsere Informationsgesellschaft verlangt, konstant innovative Konzepte zu entwickeln, um sich gegen die Konkurrenz durchsetzen zu können. Wer schneller ist, hat die Möglichkeit, sich einen Marktvorteil zu sichern. Was also beflügelt unseren Erfindergeist? Welche Faktoren begünstigen Innovation?
Mit jahrzehntelanger Erfahrung in der Branche haben sich für uns drei prägnante Faktoren zur Innovationsförderung herauskristallisiert: Kreativität, Kommunikation und Serendipität. Kreativität zielt darauf ab, neue Herangehensweisen zu bekannten Fragestellungen zu schaffen. Indem Routinen gebrochen werden, lassen sich Probleme unkonventionell lösen. Kommunikation dient nicht nur essenziell zur Weiterentwicklung bestehender Ideen. Sondern gerade hierarchie- und abteilungsunabhängige Kommunikation verschafft uns Zugang zur gesamten mentalen Kapazität eines Unternehmens. Durch den Austausch lernt, entwickelt und verarbeitet der Mensch. Die Serendipität – eine Reihe glücklicher Zufälle – fördert die Erzeugung organischer Prozesse: Der gut geplante Möglichkeitsraum forciert zufällige Begegnungen und ermöglicht unterschiedlichste Facetten von Arbeitsszenarien – häufen sich glückliche Zufälle, wächst das Innovationspotenzial.

Unternehmen, die zukünftig wettbewerbsfähig bleiben wollen, benötigen heute aber mehr Raum für Empathie, Kreativität und Erfindergeist. Daher sollte jenen Faktoren besonders viel Platz eingeräumt werden, die Innovation begünstigen. Doch wirken diese Arbeits- und Gemeinschaftsflächen der Konzentration diametral entgegengesetzt, obwohl deren Bedarf weiterhin bestehen bleibt: Nicht nur müssen die neu entstandenen Ideen erst noch ausgearbeitet und realisiert werden, sondern auch andere Aufgaben bedürfen Rückzugsorte, die konzentriertes Erledigen ermöglichen. Da die Transformation der Arbeitswelt mit grossen Unsicherheiten verbunden ist, ist es die Aufgabe der Architekten, die Kunden bei dieser Herausforderung mithilfe von Change-Management-Prozessen zu unterstützen. Dieser ganzheitliche Ansatz stösst bei allen Beteiligten auf grosse Resonanz und hilft, die Veränderungen erfolgreich mitzugestalten. Zahlreiche innovative Bürowelten für agile Arbeitsmethoden entstanden auf diese Weise in der Schweiz, Österreich und Deutschland.

BÜRO 4.0 – NEW WORK
Durch gute Planung und Umsetzung lässt sich das Potenzial entfalten, das der Möglichkeitsraum bietet, nämlich die geistige Freiheit der Mitarbeiter zu unterstützen und damit die Wertschöpfung eines jeden Unternehmens zu erhöhen. So wirken sich vergleichsweise geringfügige Investitionen in die Arbeitsbedingungen überproportional auf die Produktivität der Mitarbeiter aus. Beispielsweise machen Raumkosten in Dienstleistungsunternehmen im Schnitt nur etwa acht Prozent der Ausgaben aus, zwölf Prozent die Sachkosten und 80 Prozent das Personal. Entsprechend gross ist der Hebel, das volle Potenzial der Mitarbeiter zu entfalten, indem man die Qualität des Arbeitsortes, der Büroflächen und der Atmosphäre verbessert; denn Arbeitsphilosophie und Bürokultur fördern einander. Die Rolle des Büros geht über die eines Innovation-Hubs hinaus: Denn auch, um Mitarbeiter zu finden und zu binden, spielen Bürokultur und Gestaltung des Arbeitsplatzes eine wesentliche Rolle: Forschungen des Fraunhofer Instituts haben in der «Office 21»-Studie bereits beeindruckend nachgewiesen, dass die Arbeitsumgebung und -ausstattung bei der Jobauswahl mit 83 Prozent auf Platz eins der Anreizkriterien – sogar vor finanziellen Anreizen und Boni – stehen. Entsprechend wird das Workplace-Design inzwischen gezielt eingesetzt, um Talente zu gewinnen. Denen wiederum soll es als Ort auch eine Unternehmensheimat bieten, wo sie sich wohlfühlen und auf die sie stolz sind; denn bei aller Individualisierung der Arbeit rückt das Büro als emotionales Bindemittel im Unternehmen und Wissensvermittler in den Fokus.

Der physische Arbeitsraum behält seine grosse Berechtigung – in seiner neuen Rolle als Kultur- und Kommunikations-Hub. Der Möglichkeitsraum erlaubt, Arbeitsszenarien frei zu wählen und für jeden Mitarbeiter, sich kreativ zu entfalten. Seine Planung begünstigt nicht nur die serendipe Kommunikation, sondern auch, Ideen fokussiert zu Ende denken zu können. Eine zukunftsorientierte Arbeitsumgebung wird im neu angebrochenen Jahrzehnt mehr sein als die Kopie oder Abwandlung überholter Typologien. Das Büro ist künftig kein Ort des reinen Abarbeitens mehr, sondern die Keimzelle für Innovation.

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